Rennradtouren

Kocher-Jagst-Radweg - Ein Versuch

Auf dem Kocher-Jagst-Radweg von Aalen nach Künzelsau. Eine vielversprechende Tour, die unter normalen Umständen vier Tage dauern würde und ca. 330 Kilometer lang wäre. Leider hatten wir keine "normalen" Umstände, nach der ersten Etappe haben wir wegen nicht enden wollendem Regen unser Vorhaben abgebrochen. Eine Fortsetzung unter halbwegs erträglichen Bedingungen ist fest geplant.

Schwäbisch Gmünd

Samstag, 24. August 2013

Timo heiratet! Um seine letzten Tage als Junggeselle gebührend ausklingen zu lassen macht er, wie es sich gehört, mit seinen Freunden eine kleine Reise. Wohin wissen wir nicht, aber das ist auch nicht wichtig. Langes, blondes Haar, das mit zwei Zöpfen gebändigt ist, ein fesches Dirndl mit dazu unpassenden stark behaarten Beinen. Dazu ein Körbchen, mit allerlei Hochprozentigem und Süßem gefüllt. Mit rotem Kopftuch und Kuchen im Körbchen würde er einer bekannten Märchenfigur alle Ehre machen. Seine Reisegefährten sind allesamt lederbehost und tragen, um allen den Grund ihrer ausgelassenen Stimmung zu vermitteln, T-Shirts mit der Botschaft, dass der gute Timo heiratet und seinen Junggesellenabschied feiert. Freundlich wird auch uns vom hochprozentigem angeboten, aber dem netten jungen Mann ist selbst klar, dass wir das eher ablehnen werden. An userem Outfit ist unschwer zu erkennen, dass wir zumindest heute etwas völlig anderes auf dem Plan haben. Aber der Zug von Aulendorf nach Ulm ist lang und die Jungs finden leicht etliche Abnehmer. Eine symphatische Bande, wir wünschen Timo eine glückliche und lange Ehezeit.

Umsteigen in Ulm, wir haben Glück und müssen den Bahnsteig nicht wechseln. Nach kurzer Wartezeit sind unsere Räder wieder an Bord, 40 Minuten später sind wir in Aalen, unserem Startort. Das Wetter hat sich während unserer Fahrt deutlich verbessert, strahlender Sonnenschein straft die Wettervorhersager einmal mehr Lügen. Vor allem in nördlicher Richtung sieht es sehr gut aus. Wir fahren nach Norden. So muss das sein!

Der Allerbesten hat unsere letztjährige Fahrt auf dem Neckartalradweg ausgesprochen gut gefallen, also werden wir auch in diesem Jahr eine Flussfahrt machen. Der Plan ist, den Kocher-Jagst-Radweg in seiner ganzen Länge zu fahren. Immerhin 338 Kilometer sind das, zuerst den Kocher flussabwärts und dann von Bad Friedrichshall die Jagst flussaufwärts zurück nach Aalen. Ein guter Plan, vier Tage sind dafür vorgesehen.

Der Weg aus Aalen heraus ist etwas verwirrend, aber kein wirkliches Problem. Bei Wasseralfingen kommen wir schließlich auf den ab hier beispielhaft gut ausgeschilderten Kocher-Jagst-Radweg. Zunächst noch entlang einer vielbefahrenen Straße führt uns der Weg nach wenigen Kilometern weg vom städtischen Trubel zum Kocher. Davor gerate ich noch, vollkommen unschuldig, in eine prekäre Situation. Vor mir fährt eine Frau mit Pedelec, schon aufgrund ihrer beträchtlichen Leibesfülle beansprucht sie gut die Hälfte des Radweges. Mangels Klingel mache ich durch ein lautstarkes "Vorsicht" auf mich aufmerksam. Das hört die Dame dann auch, schwenkt ein wenig nach rechts und dann, als ich auf gleicher Höhe mit ihr bin, unvermittelt wieder nach links, also auf mich zu. "Sie sollten schon rechts fahren", kläre ich sie über die allgemeingültigen Verhaltensregeln im Verkehr auf und fahre weiter. Die Allerbeste kommt nach und lässt ausrichten, ich möge mir doch eine Klingel anschaffen. Das werde ich bei der nächsten Gelegenheit machen. Der zunehmende Radverkehr, an sich ja eine tolle Sache, lässt keine andere Wahl. Rufen, Pfeifen oder ähnliches ist wirkungslos. Eine Klingel muss her.

Der Kocher, hier im Unterlauf noch eher ein Bach, schlängelt sich durch die Ostalb. Die schöne Landschaft und ein Radwanderweg, der nun wirklich vom Feinsten ist, machen Spass und heben die Stimmung.

In Abtsgmünd entdecken wir eine Bäckerei mit Straßenkaffee. Eine Butterbrezel, dazu Kaffee, soviel Zeit muss sein. Auch auf die Gefahr hin, von der rechtslinksklingelfordernden Frau und ihrem Begleiter eingeholt zu werden und damit möglicherweise ein erneutes kritisches Überholmanöver zu riskieren. Aber der Weg ist nun ja breit genug, um selbst am enorm ausladenden Hinterteil der Klingelfordernden gefahrlos vorbei fahren zu können.

Ich habe Glück! Sie steht und studiert Hinweisschilder. Schnell vorbei und nichts wie weg! Wir fahren mit leicht erhöhtem Tempo in Richtung Sulzbach a. Kocher. Der Radweg ist immer noch richtig klasse, auch die Beschilderung bleibt vorbildlich. Ein guter Tipp für so manchen Radwegeplaner: Fahr mal hin und sieh: So geht das also auch! Erst vor Schwäbisch Hall tauchen die ersten Steigungen auf, aber keine davon verdirbt den Genuss der Fahrt.

Wir erreichen Schwäbisch Hall durch den Festplatz Steinach. Hier findet heute das 60. Sommernachtsfest der Stadt statt. Einige Verkaufsstände sind schon aufgebaut, aber nur wenige davon bieten ihre Leckereien schon an. Schade, wir sind etwas zu früh dran. Dafür können wir uns die schöne Altstadt von Schwäbisch Hall kurz anschauen und mal wieder Ansichtskarten kaufen. So richtige, auf die man noch von Hand schreiben muss. Es gibt Leute, die freuen sich wirklich noch richtig über eine Postkarte. Auf der Henkersbrücke spielt eine Dreimann-Combo Klezmer-Musik, es ist wirklich schade, dass wir schnell weiter müssen. Der Himmel hat sich in kürzester Zeit stark bewölkt, es sieht nach Unwetter aus.

Es wird nun höchste Zeit eine Unterkunft zu suchen. Bei Obermünkheim endlich ein Hinweisschild zur Traube.

Um 16:13 Uhr erreichen wir Untermünkheim, stehen vor dem Gasthof Traube und stellen fest, dass Samstags erst um 18:00 Uhr geöffnet wird. Es ist 16:15 Uhr, es beginnt heftigst zu regnen. Und wieder haben wir Glück: Die Wirtin der "Traube" schaut draußen nach dem Rechten. Noch einmal Glück: Durch eine Absage ist ein Zimmer frei geworden, zwar mit Gemeinschaftsbad und Toilette, aber eben Frei. Wir nehmen das unbesehen gerne an.

Die wenigen Sachen, die wir dabei haben, sind schnell verstaut und die Dusche wartet. In dem hellen, geräumigen und unseren Ansprüchen vollauf genügendem Zimmer fühlen wir uns gleich wohl und freuen uns schon auf das bevorstehende Abendessen in der Traube.

Die Traube ist ein altes Gasthaus mit Atmosphäre, das Essen ist einfach, aber sehr gut. Alles wird frisch zubereitet. Für die vegetarische Allerbeste gibt es "greschte Nudla mit Oi", was die Allgäuerin allerdings nicht versteht. Ich als Oberschwabe habe mit dem Hohenlohischen Dialekt kein Problem und übersetze. Geröstete (gebratene) Nudeln mit Ei und Salat gibt es als vegetarisches Gericht. Für mich überbackenen Schweinerücken, dazu Salat. Das schmeckt alles sehr, sehr gut. So gut, dass ich mir nach dem Schweinerücken als zweiten Gang noch die "greschte Nudla" bestelle. Das Personal ist über meinen Appetit etwas erstaunt, liefert aber trotzdem die georderte Bestellung. Nach einigen Kaltgetränken verlassen wir die stimmungsvolle Kneipe und verabreden uns für neun Uhr zum Frühstück

Sonntag, frühmorgens. Es regnet immer noch, und es sieht gar nicht so aus, als ob sich das noch ändern würde. Aber erst mal Frühstücken, dann schaun wer mal. Wie nicht anders erwartet gibt es ein üppiges Frühstück mit dem besten Kaffee, den ich je außer dem eigenen und dem der Allerbesten bekommen habe. "Willsch au a Rühroi", werde ich gefragt. Klar will ich Rührei. Auch das ist vorzüglich. Dazu richtig gutes Brot. Wurst, Käse, Marmelade, es mangelt an nichts und alles was wir hier bekommen ist von außerordentlich guter Qualität. Wir haben fertig, alles ist brav aufgegessen. "Brauchsch no ebbes"? "Ah, hosch eh nix meh, noch kriagsch au nix meh", beantwortet die sympathische Wirtin ihre nicht ganz ernst gemeinte Frage selbst.

Was tun? Auch nach unserem leckeren Frühstück ist die Wetterlage unverändert miesestmöglich. Dazu ist die Temperatur auch noch in den Keller gefallen. Wir beschließen, die Tour zunächst wie geplant fortzusetzen. Vielleicht ändert sich das Wetter ja doch noch. Die Allerbeste glaubt, schon ein paar blaue Stellen am Horizont gesehen zu haben. Ich seh nix außer Regen, glaube ihr das aber. Der nächste Bahnhof wäre in Künzelsau, wird uns gesagt. Oder in Schwäbisch Hall, was die kürzere Variante wäre, aber unseren Plänen genau entgegen verläuft. Also los.

Der Radweg ist immer noch prächtig zu fahren, bisher hatten wir Null Schotteranteil. Es wird immer kälter, Neoprenhandschuhe wären jetzt gut.

Haben wir aber nicht, leider. In Künzelsau beschließen wir, die Tour abzubrechen. Nur-wo ist der Bahnhof?

Künzelsau liegt wunderschön am Kocher und ist von den Hohenloher Bergen eingerahmt. Und damit für Schienenfahrzeuge nicht erreichbar. Freundliche Regenspaziergänger raten uns, mal zum Busbahnhof zu fahren und dort nach einer Transportmöglichkeit zu fragen. So machen wir das. Die Allerbeste wird von einem ehemaligen Seefahrer über den möglichen weiteren Verlauf unserer Reise informiert. Mit dem Bus zum nächsten Bahnhof, der in Waldenburg ist, um dann von dort aus eine geeignete Zugverbindung auszuwählen. So der Vorschlag des leicht angetrunkenen Ex-Matrosen. Fahrrad und Bus-ob das wohl geht? Zu unserer Überraschung ist das gar kein Problem, wo sonst Kinderwägen stehen stellen wir unsere Fahrräder ab und los gehts. Die kurvenreiche Strecke nach Waldenburg-Bahnhof erfordert von uns einiges an Kraft und Gleichgewichtssinn.

Der Waldenburger Bahnhof bietet ein trostloses Bild. Wenn nicht noch andere Reisende am Bahnsteig warten würden, wären wir sicher, an einem Geisterbahnhof gelandet zu sein, der schon seit Jahren geschlossen ist. Alles mit Unkraut überwuchert, auch zwischen den Gleisen. Wir haben über eine Stunde Zeit, um auf den Zug nach Crailsheim zu warten. Von dort aus kommen wir dann über Aalen nach Ulm. Der Bahnhof ist nun bis auf zwei durchnässte und durchgefrorene Radfahrer menschenleer. Ich ziehe mir was Trockenes an, mangels anderer Räumlichkeiten eben auf dem Bahnsteig.

Ich rate meiner Allerbesten dasselbe zu tun. "Und wenn da grad ein Zug kommt?" Kommt schon keiner, außer unserer. Also dann, der allererste Bahnhof-Strip beginnt! Es ist gar nicht so einfach, neue Klamotten über die noch feuchte Haut zu bekommen. Das dauert und dauert ...
Aber auch dieses Vorhaben gelingt schlussendlich, nicht viel später fährt ein Zug ein, aus dem etliche Fahrgäste aussteigen. Na, das wäre ein Bild gewesen!

Der Zug nach Crailsheim kommt pünktlich, auch der Rest der Heimfahrt verläuft reibungslos.

Fazit unserer kleinen Tour auf dem Kocher-Jagst-Radweg:

  1. Noch nie sind wir auf so schönen Radwegen gefahren, die übrigens - zumindest auf dem von uns gefahrenen Stück - ausnahmslos auch für Rennräder sehr gut geeignet sind.

  2. Wir werden unsere geplante Tour auf jeden Fall nachholen, ein paar schöe Tage im Herbst wird es noch geben.

  3. Alle, die mit der Planung und Umsetzung von Radwegkonzepten zu tun haben, sollten sich den Kocher-Jagst-Radweg ansehen und am besten Probe fahren.



| 103 Kilometer | 670 Höhenmeter |