Rennradtouren

Beinbrecher de Luxe - Eine Allgäutour

Eine 200er Rennradtour ins Allgäu mit jeder Menge Highlights und etlichen wirklich mehr als deftigen Steigungen. Königssträßle bei Wertach, Ellegg, Niedersonthofen-Ettensberg, das waren die "Beinbrecher". Dazu noch die unzähligen, namenlosen Steigungen, eine richtig harte Nummer!

Im Allgäu

Samstag, 18. Mai 2013

Schon der Gute Rio Reiser wusste, dass die Kühe das Gras nicht rauchen, sondern fressen. Völlig gelassen liegt die Herde auf der Weide, genießt die Sonne und frisst das junge Gras. Schön haben sie es hier im Allgäu. Markus und ich sind noch im ersten Viertel der heutigen Tour. Wie die Kühe genießen wir ebenfalls die Sonne, zwar nicht liegend im Gras, sondern wieder einmal faul im Sattel sitzend. Vermutlich ist auch unser Puls deutlich höher als der einer wiederkäuenden Kuh. Wen wunderts, der Weg hier hoch nach Zurwies ist nicht gerade mit Ruhepuls zu schaffen. Ein kleiner Stopp, es ist nun so warm geworden, dass die Armlinge samt Windweste im Trikot verschwinden können.

Dieser Pfingstsamstag fühlt sich richtig sonntäglich an, seit unserem Start um acht Uhr sind uns nur ein paar Autos und kein einziges Motorrad begegnet. Auch kein Quad, diese neue Plage der Landstraße. Das liegt natürlich auch an der Strecke, die uns fast ohne Ausnahme auf kleinsten Nebenstraßen zu einem Highlight des Tages, dem Großen Alpsee, führt. Achtzig Kilometer sind es bis dahin. Weitere 130 folgen ab dort noch.

Bald nachdem wir den nun wirklich beschwerlichen Anstieg zum Schloss Syrgenstein hinter uns gebracht haben steigt der leckere Duft von frisch gebackenem in unsere feine Nasen. In Riedhirsch, zwischen Heimenkirch und Röthenbach gelegen, werden wir dadurch quasi zu einer Pause gezwungen. Wir sind zwar erst bei Kilometer fünfzig, aber was solls. Die Bäckerei Specht ist schuld. Aber warum auch widerstehen, schließlich sind wir nicht auf der Flucht. Wir gönnen uns nur ein ganz frisch gebackenes Croissant, dazu Allgäuer Bergwasser für die Trinkflaschen. Ein kleiner Schwatz noch mit einem Radler, der ebenfalls nicht widerstehen konnte. Hier hält er immer an, erzählt uns der Kißlegger. Auch er hat mit seinem Trekkingrad noch einiges vor, über Langen nach Bregenz und dann heim. Da werden auch deutlich über 100 Kilometer zusammen kommen.

Die Stimmung ist dem Wetter angepasst, bestens gelaunt erreichen wir Oberstaufen. Wir stellen fest, dass wir schon die ganze Zeit durch eine der beliebtesten Urlaubsregion Deutschlands fahren und großes Glück haben, hier zu leben. Den Großen Alpsee umfahren wir auf der nordseitigen Nebenstrecke, die zum Teil für den Kfz-Verkehr gesperrt ist. Ganz schön schön ist es hier, es darf ein kleiner Halt zwecks Fotografieren gemacht werden.

Immenstadt, Kilometer 85. Wieder ärgere ich mich über die für Radfahrer unmögliche, schlecht bis gar nicht beschilderte Ortsdurchfahrt. Und wieder landen wir auf dem gekiesten Illerradweg. Nicht dass das ein großes Problem wäre, die Reifen halten das schon aus. Aber es ginge schon auch einfacher. Burgberg, Ortsteil Winkel, Kilometer 95. Schnell noch ein Gel, dazu eine Banane aus Markus´ reichlich gefülltem Tagesrucksack, ein Kaminwurz als Bonus für die schöne Strecke noch dazu. Dann gehen wir es an, das "Königssträßchen", ein Alpweg der örtlichen Weidegenossenschaft. Nur mit Genehmigung mit dem PKW befahrbar. DIE autofreie Variante zur Kranzegger Steige, um nach Wertach zu kommen.

Das Königssträßlein fackelt nicht lange rum, versucht erst gar nicht, dem radelnden Zeitgenossen einen sanften Anstieg vorzugaukeln. Gleich mit deutlich zweistelligen Werten geht es los, teilweise werden siebzehn Prozent Steigung erreicht. Das geht fast zwei Kilometer lang so, bis nach der letzten langgezogenen Kurve das ganze etwas flacher wird. Lange dauert die "Entspannungsphase" allerdings nicht und selbst mit 34/29 ist es echt beschwerlich. Aber trotzdem schön, was ja auch irgendwie komisch ist. Kann schon sein, das wir ein Rad abhaben, wie manche Zeitgenossen meinen. Aber dann sei es so.

Am Großen Alpsee

Nach der Schranke ist die Straße nun komplett für den öffentlichen Verkehr gesperrt, was auch am Zustand des Alpwegs schnell zu merken ist. Es ist nicht mehr so "aufgeräumt" wie auf dem Stück vor der Schranke. Die Allgäuer kennen eben keine Kehrwoche. Herr Thierse wird sich darüber freuen. Es geht nun eine Weile lang bergab, ich denke an den längst enteilten Sohn und kann mir ein geheimes Schmunzeln nicht verkneifen. Womöglich denkt er, es ginge nun nur noch abwärts. Ich habe ja den Vorteil der Streckenkenntnis, er nicht. Ab der Dreiangelhütte geht es nämlich noch einmal kräftig aufwärts. Vierzehn Prozent werden das gut und gerne sein. Nicht so lange wie im ersten Teil, aber an die zwei Kilometer geht das schon noch einmal nach oben.

In Wertach gönnen wir uns eine weitere Pause,zur Feier des schönen Tages gibt es Apfelsaftschorle und einen Cappuccino. Nichts zu essen, danke. Dem Ober passt das gar nicht. Es ist vierzehn Uhr, es gibt genügend freie Tische auf der Terrasse. Wir belegen also keinen Platz, an dem, wenn wir nicht hier wären, eine Großfamilie für reichlich Umsatz sorgen würde. Das werden wir uns merken, denn wir kommen wieder nach Wertach. Bald!

Der folgende Abschnitt unseres Ausflugs sollte uns auf die Strecke der 2012er Bayernrundfahrt führen. In Oberellegg war die erste Bergwertung der zweiten Etappe, und bis dahin folgen wir der damaligen Rennstrecke. So der Plan. Aber wir biegen falsch ab und nehmen die Direttissima. Hier gibt es nichts zu beschönigen, gleich nach dem Ortsende wird uns gezeigt, wo der Frosch die Locken hat. Steigungswerte bis zu 18 Prozent, nie unter 12 Prozent, werfen dann doch schon die andere oder eine Frage auf. Wo hört der Spaß eigentlich auf, wo fängt er denn an? Warum gerade hier verkehrt abbiegen, wo es doch so viel leichter gegangen wäre. Und, wie immer, sind solche Gedanken, kaum dass man oben ist, schon wieder vollkommen ausgeblendet. Bis zum nächsten Mal. Schon komisch, wenn man so drüber grübelt. Oder nicht? Oder doch Rad ab?

Die Abfahrt zum Rottach-See zeigt deutlich, wo der Spaß anfängt! Und wie er weitergeht, die Strecke zum Niedersonthofener See ist das pure Vergnügen. Auch wenn einige Steigungen lauern, aber heute, nach den bisher gefahrenen hochprozentern, gehen die als harmlos durch und werden quasi niedergebügelt.

Martinszell, Kilometer 130. Im Landhotel Adler könnten wir Wasser kaufen, die freundliche Wirtin empfiehlt uns aber das kostenlose Quellwasser, das im Hinterhof aus dem Hahn gezapft werden kann. Die gar nicht geschäftstüchtige Dame hat Recht, es schmeckt vorzüglich! Daumen hoch, das finden wir nicht nur gut, nein, wir finden´s Super! Ich denke, dass wir bei der nächsten Gelegenheit hier mal einkehren werden.

Fünf Kilometer weiter sind wir in Niedersonthofen, schön gelegen am gleichnamigen See. Hier wartet das letzte ernstzunehmende Hindernis des Tages auf uns. Über 250 Höhenmeter, die meisten davon schon wieder im zweistelligen Bereich, sind auf den vier Kilometern bis kurz vor Ettensberg noch zu packen. Für sich alleine ist das nun keine wirklich ganz große Nummer. Wir haben schon an die 3000 schwere Höhenmeter in den Beinen und gehen die Steigung, die sofort in Niedersonthofen beginnt, mit großem Respekt an.

Auf der Abfahrt über Eisenbolz nach Weitnau erreichen wir die heutige Maximalgeschwindigkeit, über deren Höhe ich besser nichts verrate. Ab Weitnau geht es, von einigen kleineren, harmlosen Anstiegen abgesehen, bis nach Hause abwärts. Streckentechnisch betrachtet. Körperlich ist bei uns beiden kein Abwärtstrend festzustellen, für manchen Zwischensprint sind noch genügend Reserven da. Wir haben uns auch, nicht zuletzt dank der von Markus reichlich mitgeführten Verpflegung, unterwegs sehr gut versorgt. So muss das sein.

Die Tour hat uns so gut gefallen, dass wir das Ganze wiederholen werden. In der Gegenrichtung gefahren, ergeben sich bestimmt ganz neue Ausblicke. Na dann.



| 209 Kilometer | 3400 Höhenmeter |