Rennradtouren am Gardasee

Val Sabbia und Colle San Eusebio

Sicher wird diese Steigung nach der Kurve, die ich von hier unten sehen kann, an Steilheit verlieren und es wird sich ein Hochtal auftun. Ja, so wird es sein! Nicht zum ersten Mal kam es dann aber ganz anders. Ich hätte auf meiner Tour doch den direkten Weg durch das Val Sabbia nehmen sollen. Dieser Gedanke wird die nächsten Kilometer noch öfter auftauchen. Die ja durchaus vorhandene Option, einfach kehrt zu machen und den leichteren Weg durch das Tal zu nehmen, scheidet aus unerfindlichen Gründen aus. Nun bin ich eben mal hier, irgendwo nach Vobarno, westlich des Gardasees.

Vobarno - Fiume Chiese

Mittwoch, 2. Juni 2010

Um dem Verkehr auf der „Gardesana" zu entfliehen, bin ich gleich nach dem Start vom Hotel in San Benedetto nach Süden gefahren und auf verkehrsarmen Nebenstraßen nach San Martino della Battaglia gefahren, um von dort aus dann in das sehr belebte Desenzano del Garda zu gelangen. Von hier aus kann ich, direkt am See entlang, der Hauptverkehrsader entfliehen und in ein echtes „Genussradeln" übergehen.

Erst vor Saló bleibt keine Wahl mehr, ich muss auf die „Gardesana", die sich hier aber als durchaus rennradtauglich präsentiert. Der Verkehr hält sich Grenzen, die schnelle, mit einigen Kehren versehene Abfahrt nach Saló macht mächtig Spaß. In Saló staut sich der Verkehr schier endlos, klarer Vorteil für Radfahrer. Auf dem Mittelstreifen der Durchgangsstraße fahrend, komme ich schnell und problemlos durch den belebten Ort. Am Ortsende in Richtung Vobarno kann ich noch den Schatten in der langen Allee genießen, bevor die Straße dann steil ansteigend endgültig vom See wegführt.

Über 30 Grad warm ist es inzwischen, vom starken Regen, den es in der vergangenen Nacht gab, ist noch nicht einmal eine winzige Pfütze übrig geblieben. Zehn Grad weniger wären mir auch nicht unrecht gewesen.

Auf einer kleinen Nebenstraße fahre ich in den kleinen, herrlich gelegenen Ort Gazzane ein. Durch enge, gepflasterte Gassen geht es hier. Ein Bänkchen lädt zu einer kleinen Pause ein, bevor es enorm steil auf Kopfsteinpflaster weiter geht. Kurze Zeit später erreiche ich das Städtchen Ciocetta, das schon im Val Sabbia liegt.

Vobarno (242 m), eine Kleinstadt mit 7500 Einwohnern, liegt am Fiume Chiese. So gut gefällt es mir hier, dass ich an einer uralten Steinbrücke noch einmal eine eigentlich nicht geplante oder nötige Pause einlege. Schließlich bin ich ja auch zum Vergnügen hier und habe genügend Zeit. Basta! Hier könnte man sicher auch einen schönen Urlaub verbringen. Eingekesselt von bewaldeten Bergen liegt die Stadt am Fluss, zum Gardasee ist es nicht weit.

Kurz nach Vobarno verlasse ich die Provinzstraße und folge dem Wegweiser nach Moglia. Nach wenigen Metern baut sich vor mir eine gewaltige Steigung auf, die mir sehr grenzwertig erscheint. Kurzer Stopp, was sagt die Karte? Nichts sagt sie, ich bin gerade am westlichen Ende des Kartenschnitts. Okay, so schlimm wird es schon nicht werden. Auf jeden Fall gibt es hier keinen Verkehr, auf der sicher angenehmer zu fahrenden Provinzstraße, die direkt durch das Val Sabbia zum Talschluss führt, aber auch nicht. Ich fahre los, der ersten Kurve, die ich von hier unten sehen kann, entgegen. Die Frage nach dem „Warum" stellt sich mal wieder nicht. Es ist noch viel steiler, als es auf den ersten Blick schien. Der Tacho zeigt 21 Prozent, durchgehend. Anders, ganz anders, als ich es gehofft oder erwartet habe, lässt die Steigung nach der endlich erreichten Kurve nicht nach. Oder kaum. Nur noch schlappe 18 Prozent! Wie schön. Links taucht ein Brunnen auf, der von einem kleinen Bach gespeist wird. Na, wenn das nicht ein Zeichen ist! Ich wasche mir den Schweiß aus dem Gesicht, tauche die Arme in das kalte Wasser, versenke den Helm, ein paar Hände voll noch über den Kopf, herrlich.

Weiter. Mit 4-5 Stundenkilometern quäle ich mich hoch, die Sonne brennt erbarmungslos. Fast Schiebetempo! Schreit mir der erwachte innere Schweinehund zu. Stimmt eigentlich. Ein paar Meter nur, es sieht ja niemand. Ich erliege der Versuchung, beende den Versuch dann aber schnell. Zu steil ist es, mit den Radschuhen kann ich hier nicht gehen. No Way. Zur Strafe steht nun „Anfahren am Berg" an. Das gelingt mir auch, allerdings nur, indem ich quer zur schmalen Fahrbahn starte. Die Häuser des Weilers Moglia tauchen auf, die Steigung reduziert sich auf erträgliche zweistellige Werte. Auf dem GPS kann ich den folgenden Straßenverlauf erkennen, es wird durch die sich vor mir erkennbaren Hügel weiter bergauf gehen. Nur wie? Ich lass mich einfach überraschen, schlimmer kann es ja auf gar keinen Fall kommen. Unmöglich.

Es kommt tatsächlich nicht

Colle S. Eusebio

schlimmer, aber am Scheitelpunkt bin ich noch lange nicht. Erst vor Livrio habe ich die Quälerei hinter mir, über 600 Höhenmeter auf einer Strecke von gerade mal vier Kilometern liegen nun endlich hinter mir. Als Belohnung erwartet mich eine grandiose Abfahrt, allerdings auf einer ganz frisch geteerten Straße, die besondere Vorsicht erfordert. Bevor ich wieder unten im Val Sabbia ankomme, gönne ich mir ein Aqua Minerale und fülle die längst geleerten Flaschen auf. Eine Bar am Straßenrand bei Mastanico bietet dafür eine ausgezeichnete Gelegenheit.

Das restliche Stück der Abfahrt ins Val Sabbia sehe ich immer noch als wohlverdienten Ausgleich für die vergangenen Mühen. In Barghe, das wie Vobarno am Fiume Chiese liegt, überquere ich den Fluss ein zweites Mal. Auch hier gibt es so gut wie keinen Verkehr und immer noch keine Motorräder. Was einem alles auffällt! Und das, obwohl die Straßen hier für die motorisierte Zweiradfraktion bestimmt ihren Reiz haben. Noch in der kleinen Stadt beginnt die Straße zu steigen, bleibt aber angenehm zu fahren. Schon sehr bald nach Barghe erreiche Odolo. Auch diese Kleinstadt liegt herrlich zwischen den bis zu 900 Meter hohen letzten Ausläufern der Alpen.

Zur Passhöhe des Colle S. Eusebio (574 Meter) sind es von aus hier nur knapp fünf Kilometer, 250 leicht zu fahrende Höhenmeter sind dabei zu überwinden. Die Straße ist in einem hervorragenden Zustand, es rollt – trotz der großen Hitze – wunderbar. Zur Abwechslung fahren sogar ein paar Motorräder an mir vorbei. Wie schön. Endlich hat diese Ruhe hier oben ein Ende, wenn auch nur für kurze Zeit. Auch die Abfahrt vom Colle San Eusebio ist eine Klasse für sich. Gut 300 Höhenmeter Fahrspaß auf der zwar schmalen, aber übersichtlichen Kurvenstrecke liegen schnell hinter mir.

In Gavardo ist die Abfahrt vom Colle S. Eusebio zu Ende. Am Ortseingang steht ein Mann und winkt mit einer roten Fahne. Was will der mir anzeigen? Ich nehme Tempo raus und rolle auf den Fahnenschwenker zu, der winkt mich durch. Ich fahre weiter, die Straße steigt leicht an. Ein Blick zurück erklärt den Sinn der Fahne. Ein Radrennen, und ich bin nun gerade „Testa della Corsa". Das Führungsfahrzeug der Spitzengruppe rast an mir vorbei, ich fahre ganz rechts ran. Die gut 10-köpfige Spitze rauscht mit Höllentempo an mir vorbei. Einen guten Vorsprung haben sie auf die erste Verfolgergruppe, erst eine Minute später fährt die große Gruppe an mir vorbei, dahinter jede Menge Mannschaftswagen. „Trofeo Brescia" kann ich auf einem erkennen. Ich denke, dass ich nun auch wieder los kann. Im Zentrum komme ich an einen Kreisverkehr, jede Menge Zuschauer haben sich hier versammelt. Ich halte wieder an, schon rast die nächste Gruppe an mir vorbei. Radsport hautnah. Es muss so etwas wie ein Bundesligarennen sein, jedenfalls kenne ich keine der Mannschaften. Die Straße wird nur durch Mannschaftsfahrzeuge, die an den Einmündungen quer abgestellt sind, gesichert. Keine Polizei, keine Absperrgitter. Undenkbar bei uns daheim.

Das Sanitätsfahrzeug fährt vorbei, am hinten angebrachten Besen ist zu erkennen, dass es auch als Besenwagen und Schlussfahrzeug dient. Ich setze meine Fahrt wie geplant fort und bin ein paar Straßen weiter schon wieder mitten drin im Renngeschehen. Schon kommt die Spitzengruppe erneut in Sichtweite, die Betreuer der Fahrer fangen an zu schreien und feuern ihre Schützlinge gehörig an, als sie an uns vorbei rasen. Ich sehe mir das Ganze noch eine Weile an, werfe ein paar Blicke auf die herumstehenden Ersatzmaschinen und mache mich dann auf den Heimweg. Weit habe ich es nicht mehr, ungefähr 30 Kilometer liegen noch vor mir. Größere Schwierigkeiten sollte es auch nicht mehr geben.

In Polpenazze del Garda komme ich wieder auf meine Hinfahrtsstrecke, auf demselben Weg fahre ich ab da zurück. Was ich bei der Hinfahrt gar nicht bemerkt habe, ist mir nun umso willkommener. In Soiano del Lago entdecke ich, nur wenige Meter von der Straße entfernt, einen „Punto Acqua". Eine überaus praktische Einrichtung, es ist eine

Wasserstelle

öffentliche Wasserstelle. Drei Sorten stehen zur kostenlosen Auswahl: Gassata, Naturale und Frizzante. Nachdem die Leute vor mir ihre Kanister und Flaschen gefüllt habe, bin ich an der Reihe. Ich entscheide mich für 1,5 Liter Frizzante. Damit sind meine Flaschen wieder voll.

Die letzten 25 Kilometer sind geschenkt, die Abfahrt von Soiano sowieso, danach geht es flach zurück nach Peschiera del Garda. Eine herrliche Tour liegt hinter mir, die Anstrengungen der mörderischen Steigung sind längst vergessen. Und das Wasser aus Soiano war lecker.

| 115 Kilometer | 1950 Höhenmeter |

Fotos