Rennradtouren
Vogesen - eine Tour zur `Tour´
Eine Rennradtour über den Ballon d´Alsace zum Ballon des Servance und dann zur Bergankunft der Tour de France 2012 in La Planche des Belles Filles. Ein Erlebnis der ganz besonderen, unvergesslichen Art.
Samstag, 7. Juli 2012
Gut geplant ist halb gewonnen! Schon um 12.20 sind wir auf der frisch hergerichteten Straße, die nach La Planche des Belles Filles hinauf führt. Der neue Belag eignet sich offensichtlich ganz hervorragend als `Leinwand´. In riesigen Lettern haben Fans die Namen ihrer ganz persönlichen Helden auf das glatte, schwarze Asphaltband geschrieben.
PINOT, wer ist Pinot? Hier im Département Haute-Saône muss er ziemlich bekannt sein. Wenn es sich bei PINOT denn um einen Radrennfahrer handelt und nicht um ein Getränk oder ein anderes Produkt, das hier angepriesen werden soll. Unübersehbar, häufig und in der Ausführung erstklassig, lesen wir und tausende Andere den Namen PINOT.
Marcus und ich wollen uns das Spektakel im Zielbereich ansehen. Leicht wird das nicht werden, nur im Kriechgang schlängeln wir uns zwischen den Menschenmassen durch. Ein nicht enden wollender Menschenstrom zieht nach oben. Die Allermeisten zu Fuß, aber auch unzählige Radfahrer sind darunter. Zum Glück unterhält sich Marcus mit einem der Radfahrenden und erfährt dabei, was eigentlich logisch ist. Wenn wir uns das
tatsächlich ganz oben ansehen wollen, müssen wir einige Stunden einkalkulieren, bis wir wieder unten sein werden!
Die erste Kehre, die Straße ist hier besonders steil. Freie Plätze gibt es auch. Also bleiben wir hier. Die Räder ins Gras gelegt, Radschuhe aus. Dann warten. Zielankunft wird nach dem Etappenplan zwischen 16 und 17 Uhr sein. Die Sträucher am Straßenrand spenden ein wenig Schatten, den haben wir bitter nötig. Die Trinkflaschen sind fast leer, zu unserem Leidwesen sieht es nicht so aus, als könnten wir hier Nachschub bekommen. Es ist heiß, die Sonne steht fast senkrecht über uns.
Der Menschenstrom nimmt kein Ende. Stundenlang pilgern Zuschauer an uns vorbei, alle wollen die Show möglichst weit oben sehen. Immer wieder fahren große Reisebusse vorbei. Auch die Tour-Direktion unterhält wohl hunderte von Fahrzeugen, es ist schier unglaublich, wie viele offizielle Fahrzeuge unterwegs sind.
Man könnte meinen, dass dort oben die Stones zusammen mit Led Zeppelin und Pink Floyd ein Open-Air-Konzert geben. Eintritt frei. Abertausende werden es am Ende sein, die `nur´ wegen dieser ersten Bergankunft der diesjährigen Tour hier sind. Es ist überwältigend. Die Werbekarawane kommt. Die bisher so ruhig und friedlich wirkende Zuschauermenge bei Kehre 1 wird unruhig und hektisch. Das ältere Paar aus England neben mir stürzt sich in beinahe halsbrecherischer Manier auf die von den Fahrzeugen geworfenen Werbeartikel. Eigentlich wertloser Kram, aber für Souvenirjäger durchaus von großer Bedeutung. Marcus ergattert ein paar Minitütchen Weingummis eines bekannten deutschen Herstellers. Wir setzen unsere Hoffnung und Restenergie auf den Vittel-Lkw, gehen aber leer aus. Schade, aber nicht zu ändern.
Dafür sind wir inzwischen stolze Besitzer eines T-Shirts. Weiß mit roten Punkten, maillot à pois rouges, leider nicht tragbar weil aus billigsten Kunstfasern gefertigt. Aber ein wertvolles Souvenir. Das Jagdfieber hat uns also doch auch gepackt. Eine Kleinigkeit zu trinken, das wäre jetzt was! Die Rettung für uns ist ein Verkaufswagen, es gibt zwar nur Coke, das aber gut gekühlt.
Die Menge wird unruhig, die Spannung steigt nun an, die Luft knistert. Ausgelöst wird das durch die nun hörbaren Hubschrauber. Die Tour ist jetzt schon ganz nah, spürbar bricht es nun vollends aus, das Tourfieber packt spätestens jetzt jeden. Ohne Ausnahme. Schnell noch an den Außenrand der Kehre, von hier aus ist die Sicht am besten. Fotoapparat herrichten, Mist, der Akku ist fast leer. Polizeimotorräder, ohrenbetäubender Hubschrauberlärm, der rote Jurywagen. 17.04 Uhr. Es geht los. Die Menge ist außer sich, der Sky-Zug mit Bradley Wiggins an dritter Stelle prescht vorbei. 20 Sekunden später kommt Fabian Cancellara vorbei. Sichtlich gequält rast Thomas Vöckler vorbei, Vincenzo Nibali und Dominik Nerz aus Wangen... . Gänsehaut trotz 30 Grad.
Cancellara verliert sein Gelbes Trikot heute, Bradley Wiggins übernimmt es und trägt es bis Paris. Etappensieger wird Christopher Froome. Gefolgt von Vorjahressieger Cadel Evans, dritter wird Wiggins. Alle anderen Favoriten lassen heute Federn. PINOT, Thibaut Pinot aus Lure, hier ganz in der Nähe gelegen, wird übrigens mit 1:24 Minuten Rückstand Guter Fünfzehnter der heutigen Etappe. Am nächsten Tag wird er als Jüngster im Feld der Tour bei seiner ersten Teilnahme die achte Etappe gewinnen.
Der Besenwagen ist vorbei, wir brechen auf. Die Entscheidung, nicht bis nach oben zu fahren, erweist sich als goldrichtig. Einigermaßen zügig kommen wir nach unten. Ein Platten in Marcus´ Vorderrad stoppt uns. Der Schaden ist schnell behoben, es geht weiter. Marcus schnauzt einen Radfahrer in Astana-Outfit an, er soll hier gefälligst nicht so hinunterrasen. Wegen der vielen Leute und so. Zu spät bemerkt er, dass er gerade Alexander Vinokourov angemault hat. Der hat ihn aber nicht verstanden. Gut so, Vinos Laune war sicher nicht die Beste heute. Das gesamte Tourfeld, mit Ausnahme derjenigen, die noch die Siegerehrungen abwarten müssen, fährt neben uns runter nach Plancher-Les Mines. So kommt es, dass ich ein gutes Stück an der Seite von Cadel Evans fahre.
In Plancher-Les Mines stehen die Mannschaftsbusse der Teams. Wir sehen uns das alles aus der Nähe an. Vino fährt sich auf der Rolle vor dem Bus aus, Cancellaras gelbes Rad ist schon auf dem Teamwagen montiert. Radsport Hautnah hatten wir heute, wo sonst gibt es so was? Die Zeit drängt. Gut 50 Kilometer liegen noch vor uns, es wird mal wieder spät werden heute. In Giromagny plagt uns der Hunger, wir müssen etwas essen. Am Straßenrand entdecken wir eine Pizzeria. Eine kleine Ewigkeit später haben wir endlich was Ordentliches zu essen. Dazu kühles Heineken Bier.
Gut gestärkt können wir die letzten Kilometer nach Masevaux in Angriff nehmen. Dort steht auf dem Campingplatz unser Zelt, von dort sind wir auch heute früh aufgebrochen. Nach unserem samstäglichen Campingfrühstück, bestehend aus Milchkaffee, dazu Milchbrötchen mit Nuss-Nougat-Creme, ging es los:
Unser erstes Ziel ist der Ballon d´Alsace. Einfach zu finden, quasi vor der Haustüre beginnt der 23 Kilometer lange Anstieg zu dem legendären Vogesenpass. Auf der verkehrsarmen D466 immer bergauf, so einfach ist das. Am Lac D´Alfeld, herrlich gelegen, gibt es eine kleine Fotopause. Ab hier gibt es fast gar keinen Fahrzeugverkehr mehr, ich genieße die himmlische Ruhe und kurble mich stressfrei nach oben. Marcus ist längst nicht mehr zu sehen und wohl einige hundert Meter vor mir. Eine Passstraße, die wirklich Spaß macht. Nicht zu steil, schön angelegt und eben völlig ruhig. Keine Motorräder, keine Lkws. Herrlich. Die Passhöhe auf 1171 Meter ist wenig spektakulär, es gibt hier einen Kiosk und Andenkenladen. Es ist früh am Tag und nicht viel los, Radfahrer bestimmen das Bild.
Die Abfahrt nach Saint-Maurice-Sur-Moselle ist schnell und macht riesigen Spaß. Kehrenreich und nicht zu steil fallend geht es in Moseltal, unserem nächstem Ziel, dem Ballon de Servance(1158m), entgegen. Von der Passhöhe aus ist es nicht mehr weit zur Abzweigung nach La Planche des Belles Filles. Zur ´Greatest Show on Earth`.
| 101 Kilometer | 2100 Höhenmeter |
Fotos